Mandative Demokratie: Ein Alternativmodell, das dem Bürgerwillen mehr Geltung verschafft und Verantwortlichkeit transparent macht
Einleitung
Über Demokratie zu sprechen ist eine Herausforderung. Wir alle gehen wie selbstverständlich davon aus, dass unser politisches System funktioniert. Klar – hier und da holpert es, aber das große Ganze sollte schon passen.
Nur: So fühlt es sich für viele Menschen längst nicht mehr an.
Politik wirkt abgehoben, Koalitionsverhandlungen erscheinen wie ein Spiel mit verdeckten Karten, und obwohl Wahlen das Herzstück unserer Demokratie sein sollen, fühlt man sich machtlos beim Gang zur Wahlkabine.
Hermann Behrendt, Jurist und früherer Wirtschaftslenker, hat dieses diffuse Unbehagen einmal komplett durchleuchtet. Sein Buch Die mandative Demokratie ist durchaus kein Angriff auf die Demokratie – er hinterfragt allerdings die Spielregeln, die verhindern, dass Demokratie heute so funktioniert, wie sie funktionieren könnte.
Die These
Unsere parlamentarische Demokratie ist nicht „schlecht“. Sie ist veraltet. Sie arbeitet mit Mechanismen aus einer Welt, die es so seit Jahrzehnten nicht mehr gibt.
Und genau hier setzt sein Modell der mandativen Demokratie an. Es ist keine Phantasie, sondern ein strukturiertes, bis ins Detail durchdachtes Gegenmodell.
Dieser Artikel erklärt dir das Konzept verständlich – und zeigt den direkten Vergleich zum heutigen System.
1. Was ist die Mandative Demokratie überhaupt?
Behrendt bringt es auf eine einfache Formel:
Demokratie heißt, dass die Bürger Regierungsmacht verleihen – inhaltlich und zeitlich begrenzt. „Mandativ“ bedeutet genau das: beauftragend. Das Modell dreht sich um eine einzige Frage:
Wie stellen wir sicher, dass diejenigen, die Macht erhalten, diese auch wirklich im Sinne der Bürger ausüben – nachvollziehbar, kontrollierbar, jederzeit auf Widerruf?
Seine Antwort ist radikal logisch:
- Bürger wählen ein fertiges Regierungsteam aus mehreren konkurrierenden Teams.
- Diese Teams legen vor der Wahl ihr verbindliches Regierungsprogramm vor.
- Das Parlament wird überflüssig – Gesetzgebung übernimmt die Regierung gemäß dem Regierungsprogramm.
- Bürger können zwischen den Wahlen eingreifen, wenn das Programm verlassen wird oder unvorhergesehene Entwicklungen eintreten.
- Ein starkes Verfassungsgericht und ein direkt gewählter Bundespräsident sind Sicherungen gegen Machtmissbrauch.
- Ein Bürgerforum sorgt für permanente öffentliche Kontrolle.
Kurz gesagt:
Wahl → klarer Auftrag → klare Verantwortlichkeit → klare Korrekturmöglichkeit.
Im Gegensatz zur parlamentarischen Demokratie, wo der Bürger eine Partei wählt und danach keinen Einfluss mehr auf die tatsächliche Regierungsbildung und das Regierungsprogramm hat.
2. Warum dieses Modell überhaupt nötig ist – das Problem im Ist-Zustand
Behrendt legt in dem Buch die Diagnose offen:
Der Kern der Krise liegt nicht in den Menschen, sondern im System und seinen Institutionen.
Es erzeugt Fehlanreize – und wer im System erfolgreich sein will, muss ihnen folgen.
2.1. Das heutige System fördert Politiker, die angepasst sind – und nicht solche, die gesellschaftlich qualifiziert sind
Das Rezept für Parteikarrieren:
- früh einsteigen
- der Parteilinie folgen
- Netzwerke pflegen
- innerparteiliche Machtkämpfe bestehen
- Medienauftritte beherrschen
Das alles ist politisch sinnvoll, aber gesellschaftlich irrelevant. Das Ergebnis: Berufspolitiker ersetzen Bürgervertreter. Nicht, weil sie böse wären – sondern weil das System genau diesen Typus selektiert.
2.2. Koalitionslogik zerstört Verantwortung
Der Koalitionsvertrag ist heute die Basis für die gesamte Regierungsarbeit. Er ist nirgends im Grundgesetz vorgesehen, sondern hat sich in der Verfassungswirklichkeit entwickelt. Was drin steht, ist das, was sich nach der Wahl verhandeln ließ – und eine Überraschung für das Wahlvolk, dem nur noch die Zuschauerrolle verbleibt:
- Wahlprogramme verschwinden in Koalitionsverträgen
- Ministerposten werden parteiintern verteilt
- Verantwortung wird verdünnt
- Schuldzuweisung wird zur Strategie
Wenn alles Ergebnis von Kompromissen ist, muss sich niemand mehr klar verantworten.
2.3. Bürger verlieren Vertrauen – mit Recht
Nicht, weil sie der Demokratie misstrauen, sondern weil sie im parlamentarischen System:
- nicht wissen, wer nach der Wahl wirklich regiert
- davon überrascht werden, welches Wahlprogramm welcher Koalitionäre zu welchen Teilen am Ende gilt
- keine Möglichkeit haben, während der Legislaturperiode einzugreifen
- die Verantwortung für politische Entscheidungen kaum noch einer Person oder Partei zuordnen können
Das alles ist eine „Entdemokratisierung durch Intransparenz“.
3. Die mandative Demokratie im Detail – wie das Modell funktioniert
Jetzt wird’s handfest. Behrendt präsentiert keine Versatzstücke, sondern ein vollständiges Verfassungsmodell.
3.1. Direktwahl der Regierung
Nicht Parteien bestimmen, wer Minister wird. Nicht Koalitionen entscheiden, welche Partei welchen Einfluss gewinnt. Nicht Hinterzimmer, sondern Wahl. Der Bürger als Souverän entscheidet über:
- Kanzler/-in
- alle Minister/-innen
- das Regierungsprogramm
Die konkurrierenden Teams stellen sich geschlossen zur Wahl.
Transparenz vor Legitimation.
3.2. Verbindliches Regierungsprogramm
Koalitionsverträge werden von den konkurrierenden Teams vor der Wahl vereinbart. Der Wähler weiß also, wenn er sein Kreuz macht:
- was geplant ist
- was nicht
- welche Prioritäten gesetzt werden
- welche Ziele innerhalb der Legislatur erreicht werden sollen
Weicht die Regierung später wesentlich ab oder treten nicht vorhergesehene Ereignisse ein, wird das Volk gefragt.
3.3. Begrenzte Wiederwahl
Ein zentraler Hebel: Keine endlosen Karrieren. Keine Machtverkrustung. Wer keine Rücksicht auf die Chance zur Wiederwahl nehmen muss, ist frei, übergeordnete Interessen durchzusetzen.
3.4. Gesetzgebung durch die Regierung
Das Parlament entfällt. Weil es keine Funktion mehr hat. Behrendt argumentiert:
- Das Regierungs- und damit das Gesetzgebungsprogramm steht durch die Wahlentscheidung fest.
- Die notwendige Kontrolle der Regierung wird durch andere Institutionen wirkungsvoller erreicht.
- Debatten als Schaukämpfe kann man sich sparen.
- Wir brauchen keine Versorgungsanstalt für die politische Klasse.
Die Regierung beschließt Gesetze, das Volk kontrolliert sie indirekt – und Bundespräsident sowie Verfassungsgericht sichern Grenzen.
3.5. Direkte Einflussmöglichkeiten der Bürger
Während der Legislaturperiode gibt es Volksentscheide. Aber kein populistisches Abstimmen über alles.
Sondern nur, wenn:
- grundlegende Linien verlassen werden
- verbindliche Zusagen gebrochen werden
- unvorhergesehene Ereignisse eintreten
3.6. Starke Kontrollinstanzen
Die Mandative Demokratie stellt zwei starke Kräfte der Regierung gegenüber:
- direkt gewählter Bundespräsident mit erweiterten Kompetenzen
- unabhängiges Verfassungsgericht
Beide wirken als Korrektiv gegen Übergriff, Missbrauch oder Kompetenzüberschreitung.
3.7. Bürgerforum
Kein Parlament. Aber ein Diskursraum, der Rückkopplungen ermöglicht.
Das Bürgerforum:
- ist öffentlich
- ist beratend
- stellt Expertenwissen bereit
- gibt Raum für Initiativen
- mischt sich in Gesetzesentwürfe ein
- basiert auf Transparenz, nicht auf Macht
4. Die Gegenüberstellung: parlamentarische vs. mandative Demokratie
Damit es klarer wird, hier die große Linie – praxisnah.
4.1. Wer wird gewählt?
| Parlamentarische Demokratie | Mandative Demokratie |
|---|---|
| Parteien | Regierungsteam |
| Personen auf Listen | Personen auf Ämtern |
| Programm = Partei-Marketing | Programm = verbindlicher Auftrag |
4.2. Wie entsteht die Regierung?
| Heute | Mandativ |
|---|---|
| Koalitionsverhandlungen | Direktwahl durch Bürger |
| Macht durch Parteiflügel | Macht durch Wählerauftrag |
| Minister werden intern ausgewählt | Minister sind wählbar |
4.3. Wer trägt Verantwortung?
| Heute | Mandativ |
|---|---|
| viele Akteure, wenig Klarheit | klare Zuordnung: 1 Team |
| Schuldverschiebung Standard | Verantwortung unteilbar |
| Wahlprogramm unverbindlich | Wahlprogramm bindend |
4.4. Wie werden Gesetze gemacht?
| Heute | Mandativ |
|---|---|
| Parlament (vollzieht nachträgliche Koalitionsvereinbarung) | Regierung (vollzieht durch Wahl entschiedenes Programm) |
| Ausschüsse, Fraktionen, Taktik | klare Zuständigkeiten |
| Scheindebatten | konsistente Gesetzesbegründung |
4.5. Kontrolle?
| Heute | Mandativ |
|---|---|
| Opposition (wie stark?) + Medien (wie parteiisch?) | direkt gewählter Bundespräsident + Verfassungsgericht + Volksentscheide |
| parteipolitischer Wettbewerb | sachlicher Wettbewerb |
| Kontrolle verwässert | Kontrolle strukturell verankert |
4.6. Einfluss der Bürger
| Heute | Mandativ |
|---|---|
| indirekt | direkt wirksam |
| Wahlen alle vier Jahre | zusätzlich Volksabstimmungen |
| kaum Korrekturen möglich | klare Stop-Mechanismen |
5. Was sagen Kritiker zur Mandative Demokratie ?
Kritik gibt es natürlich. Behrendt geht im Buch auf alle gängigen Einwände ein:
• „Das ist doch faschistoid!“
Unsinn – alle Kriterien des Bundesverfassungsgerichts für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung sind eingehalten.
• „Das stärkt aber die Exekutive!“
Ja – aber austariert mit starken Kontrollinstanzen.
• „Was ist mit Minderheiten?“
Verfassungsgericht + Grundrechte bleiben selbstverständlich.
• „Ist das realistisch?“
Realisierbarkeit ist nicht das Ziel – sondern Denkraum.
Der Punkt des Modells ist nicht: Wir müssen das morgen so machen.
Sondern:
So sähe Demokratie aus, wenn man Verantwortung, Transparenz und Einfluss neu ordnet.
6. Fazit: Warum dieses Modell gerade jetzt interessant ist
Wir leben in einer Phase, in der Politik aus gutem Grund unter Druck steht:
- Die Wirtschaft leidet unter den Standortbedingungen mit gravierenden Folgen für Arbeitsplätze und Steuereinnahmen
- Die Staatsverschuldung steigt rasant zulasten der kommenden Generationen
- Die Sozialsysteme werden unbezahlbar
- Die ungesteuerte Zuwanderung überfordert unsere Integrationsfähigkeit
- Die politische Klasse in Brüssel und Berlin produziert weiter Bürokratie, um ihre Daseinsberechtigung zu belegen
- Die Bürger zweifeln an der Fähigkeit, im jetzigen System die Probleme zu lösen
Die Mandative Demokratie ist nicht die Antwort auf alles. Aber sie ist ein strukturierter Vorschlag, wie wir Macht besser vergeben und kontrollieren könnten. Und wie der Bürgerwille gegen Parteiinteressen gewinnen kann.
„Die mandative Demokratie“ von Hermann Behrendt