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Reformstau überwinden – was wir aus 60 Jahren Grundgesetz lernen können

Warum das Vertrauen in die Politik schwindet – Analyse und Ausblick mit Ideen aus der „Mandativen Demokratie“

Die Politikverdrossenheit steigt, Nichtwähler werden faktisch zur stärksten politischen Kraft. Warum unser System diese Entwicklung selbst erzeugt – und wie die Ideen der Mandativen Demokratie neue Wege öffnen könnten.

Einleitung

Du musst heute kein Politik-Nerd sein, um zu spüren, dass in Deutschland etwas nicht mehr rundläuft. Gespräche über Politik enden oft in Schulterzucken, Frust oder Zynismus. Oder noch schlimmer: Fast die Hälfte der Deutschen traut sich nicht mehr, frei die politische Meinung zu äußern. Menschen fühlen sich nicht ernst genommen. Die Wirtschaft verliert dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit mit schwerwiegenden Folgen für Arbeitsplätze und Steueraufkommen. Aber die Politik kümmert sich eher um verhätschelte Minderheiten und illusorische Klimaziele. Der Eindruck wächst, dass die politische Klasse in ihrer eigenen Welt lebt.

Diese Entwicklung ist weder Zufall noch Stimmungsschwankung. Sie wird durch klare Mechanismen unseres Systems erzeugt – und genau das hat Hermann Behrendt in seinem Buch Die mandative Demokratie herausgearbeitet. Das Buch wirkt wie ein seismographischer Blick auf die inneren Risse unserer politischen Ordnung: Manche davon sind alt, manche neu, viele tief.

In diesem Artikel geht es darum, diese Risse sichtbar zu machen. Nicht um „die da oben“ zu verprügeln. Sondern um zu verstehen, warum sich ein System so verhält, wie es sich verhält – und warum es heute an Grenzen stößt, die wir nicht länger ignorieren können.


1. Vertrauensverlust: das sichtbare Symptom

Behrendt beginnt sein Buch mit einer Beobachtung, die jeder schon gespürt hat:

Die Distanz zwischen Bürgern und politischer Klasse war noch nie so groß wie heute.

Das zeigt sich in konkreten Fakten:

  • die Unsicherheit, wen man überhaupt noch wählen soll, ist groß
  • Nichtwähler sind faktisch mit die größte „politische Kraft“ im Land
  • viele Menschen erleben Politik als formal korrekt, aber inhaltlich nicht legitim
  • Politiker rangieren am unteren Ende der Vertrauensskala aller Berufe

Das ist kein emotionales Bauchgefühl, sondern eine feststellbare Entwicklung.

Behrendt schreibt, dass Bürger kaum noch das Gefühl haben, Einfluss auf politische Entscheidungen zu haben. Seine zentrale Diagnose:

Wir leben in einem System, das demokratisch aussieht – aber nur noch eingeschränkt demokratisch funktioniert.

Es ist die Kombination aus Enttäuschung, Entfremdung und dem Eindruck einer politischen Klasse, die sich in ihrer Blase selbst verwaltet, statt die Gesellschaft zu gestalten.


2. Warum immer mehr Menschen das Gefühl haben, nicht vertreten zu werden

2.1. Parteienherrschaft als Nadelöhr

Parteien steuern Zugang, Karriere, Einfluss, Ministerposten – und sind damit nicht nur politische Akteure, sondern Gatekeeper.

Der Bürger kann zwar Parteien wählen, aber:

  • er kann nicht durchschauen, wie Verhandlungen hinter den Kulissen laufen
  • er weiß nicht, welche Programme die Koalitionslogik überleben

Koalitionsverträge – also das, was tatsächlich Politik macht – sind nicht wählbar. Sie entstehen nach der Wahl, nicht vor ihr.

2.2. Berufspolitikertum als Systemfehler

Ein politisches System, das Politiker vor allem danach auswählt, wie gut sie sich in Parteistrukturen einfügen, verliert zwangsläufig Menschen, die im echten Leben Verantwortung getragen und sich bewährt haben. Eine Berufslaufbahn ausschließlich in der Politik macht abhängig von der Partei.

Behrendts Diagnose:

Das System erzeugt Politiker, die politisch funktionieren – nicht unbedingt solche, die das Land erfolgreich und gerecht führen können. Unsere Politiker sind Gefangene des Systems.

Hier wird deutlich: Das Problem ist strukturell, nicht moralisch.

2.3. Medienlogik verstärkt die Schieflage

Wenn Parteien taktieren und Politiker sich absichern, entsteht ein perfekter Resonanzraum mit einer Medienwelt, die auf Konflikte, Skandale, Personalfragen und Lagerkampf geeicht ist.

Lange Linien, komplexe Argumente, Verantwortung jenseits des Tagesgeschäfts – dafür gibt es kaum Raum.


3. Die Folgen: Politische Entscheidungen sind legal, aber nicht legitim

Die Menschen spüren, dass die Politik sich nicht mehr um die für sie wichtigen Themen kümmert.

Viele Entscheidungen sind formal demokratisch zustande gekommen – aber vom Wähler innerlich nicht akzeptiert, wie

  • steil ansteigende Staatsverschuldung zu Lasten kommender Generationen
  • massive Eingriffe in Bürgerrechte (z. B. Corona-Maßnahmen, missbrauchter Verfassungsschutz, konfiskatorische Steuern und Abgaben)
  • Energiepolitik ohne langfristige Konsistenz
  • Einwanderung und Integration ohne Strategie und kulturelle Sensibilität
  • Bildungspolitik, die von Ideologien statt von Notwendigkeiten geprägt ist

Das alles erzeugt ein Klima, das Behrendt als Mischung aus Resignation und stillem Zorn beschreibt.


4. Der Mechanismus dahinter: Warum das System genau diese Ergebnisse produziert

Behrendts Gedankengang ist radikal einfach:

Politiker handeln logisch – in einem System, das falsche Anreize setzt.

Hier die wichtigsten Mechanismen:

4.1. Eigeninteresse schlägt Gemeinwohl

Nicht, weil Politiker egoistisch sind, sondern weil das System Karrieren so organisiert:

  • Wer unbequem ist, kommt nicht weiter
  • Wer in Strukturen mitläuft, wird belohnt
  • Wer mutig entscheidet, riskiert Stimmen
  • Wer abwartet, gewinnt Zeit.

Und am Ende entscheidet die angestrebte Wiederwahl über alles.

4.2. Koalitionspolitik frisst Verantwortlichkeit

Behrendt beschreibt das so:

  1. Nach der Wahl beginnt erst die eigentliche Festlegung des Wahlergebnisses.
  2. Koalitionen verschieben Programme.
  3. Verantwortung wird gestreut und nicht mehr zurechenbar.
  4. Bürger haben keine Korrekturmöglichkeit.

Das erzeugt eine demokratische Grauzone, in der Macht zwar ausgeübt, aber Verantwortung verschleiert wird.


5. Die große Linie: Eine Demokratie, die an ihren eigenen Regeln erstickt

Wer die „Mandative Demokratie“ liest, erkennt ein wiederkehrendes Muster:

Das Parlament des Grundgesetzes ist auf eine Welt ausgelegt, die es so nicht mehr gibt.

Es stammt aus einer Epoche:

  • als Politiker in Deutschland noch eigene Lebenserfahrung außerhalb der Politik, vor allem beruflich, mitbrachten
  • die Parteien sich den Staat noch nicht zur Beute gemacht hatten
  • Eigenverantwortung selbstverständlich war und der Staat noch nicht die Rolle des „Rund-um-sorglos-Betreuers“ übernommen hatte
  • die Sekundärtugenden noch allgemeine Wertschätzung fanden
  • die Medien in erster Linie Nachrichten verbreiten und nicht Überzeugungen vermitteln wollten
  • das Staatsvolk noch kulturell weitgehend homogen war
  • die europäische Einigung eine erstrebenswerte Vision war und keine bürokratische Monstrosität

Die Gesellschaft im heutigen Deutschland ist völlig verändert: fragmentiert, ideologisiert, bürokratisiert, leistungs- und wirtschaftsfeindlich. Das Parlament ist in dieser Umgebung nur noch eine Bühne für Schaukämpfe und hat seine ihm ursprünglich zugedachte Funktion verloren.


6. Institutionelle Fehlstellungen, die Behrendt besonders hervorhebt

Hier schöpfe ich direkt aus den Kapiteln 1 und 2 des Buchs.

6.1. Bildung und Kultur als politisches Spielfeld

  • Erziehungsideologien verdrängen Qualität
  • Sprachkompetenz wird vernachlässigt
  • Verantwortung zwischen Bund und Ländern ist unklar
  • Reformen werden aus parteipolitischen Gründen verwässert.

6.2. Migration und Integration ohne klare Linie

Zu nennen sind:

  • fehlende Steuerung, keine konsequente Unterscheidung von Asyl und Einwanderung
  • Überforderung der Integrationsfähigkeit und der finanziellen Möglichkeiten
  • ideologisch geführte Debatten
  • dysfunktionale EU-Regeln
  • Verdrängung der negativen Folgen von Zuwanderung

6.3. Verschuldung und Euro-Krise als Systemprodukt

Behrendt argumentiert, dass Verschuldung nicht Ausnahme, sondern systemimmanente Regel ist – ein demokratisches System, das auf kurzfristige Wählbarkeit reagiert, bevorzugt Wohltaten statt Zukunftsinvestitionen.

Die Euro-Ebene verstärkt das Problem.

6.4. Ausufernder Sozialstaat

Nicht aus Bosheit, sondern aus politischer Logik:

  • Sozialleistungen steigen durch immer neu entdeckte „Gerechtigkeitslücken“ und werden unbezahlbar
  • Sozialsysteme werden auf Pump finanziert zu Lasten kommender Generationen
  • Leistungsträger kapitulieren oder wandern aus
  • Reformen sind politisch riskant aus Angst vor der Wahrheit und dem Wähler

Ein „sozial ist unsozial“-Mechanismus entsteht.


7. Warum Reformen trotz allem scheitern

Ein bitterer, aber zutreffender Satz aus dem Buch:

„Diejenigen, die die Reformen beschließen müssten, sind dieselben, die durch Reformen Macht verlieren würden.“

Reformen im parlamentarischen System haben vier klassische Feinde:

  • Koalitionspartner, die ihre jeweilige Klientel versorgen müssen
  • Parteivorstände, die um Macht und Ego fürchten
  • Wahlkampfzyklen, eng getaktet auf Bundes- und Landesebene
  • mediale Risikoverstärkung

8. Was bleibt? Ein System am Limit – und die Frage nach Alternativen

Behrendt ist kein Zyniker. Er ist Jurist und Demokrat – aber einer, der ungeschönt klar beschreibt, was viele seit Jahren spüren. Sein Punkt ist nicht: „Alles abschaffen.“ Sondern:

„Wir müssen die Spielregeln überdenken. Nicht die Demokratie infrage stellen, sondern im Gegenteil: wiederbeleben.“

Damit öffnet er die Tür für sein Reformmodell der Mandativen Demokratie (das im nächsten Post ausführlich beschrieben wird).


9. Fazit: Vertrauen kommt nicht durch Appelle zurück– sondern durch nachvollziehbare Verantwortlichkeit

Politiker reden oft von „mehr Dialog“, „mehr Bürgernähe“ und „mehr Transparenz“. Alles gut gemeint, alles aber nur Oberfläche.

Behrendts Diagnose zeigt: Wenn die Struktur falsch ist, reicht kein Feintuning.

Was wir brauchen:

• echte Wählbarkeit
• klare Verantwortlichkeit
• verbindliche Programme
• wirksame Kontrolle
• direkte Einflussmöglichkeiten

Erst dann hat Politik wieder eine Chance, als das wahrgenommen zu werden, was sie sein soll Gestaltung mit dem Bürger – nicht über ihn hinweg.


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Die Idee der Mandativen Demokratie verständlich erklärt

Mandative Demokratie: Ein Alternativmodell, das dem Bürgerwillen mehr Geltung verschafft und Verantwortlichkeit transparent macht

Einleitung

Über Demokratie zu sprechen ist eine Herausforderung. Wir alle gehen wie selbstverständlich davon aus, dass unser politisches System funktioniert. Klar – hier und da holpert es, aber das große Ganze sollte schon passen.

Nur: So fühlt es sich für viele Menschen längst nicht mehr an.

Politik wirkt abgehoben, Koalitionsverhandlungen erscheinen wie ein Spiel mit verdeckten Karten, und obwohl Wahlen das Herzstück unserer Demokratie sein sollen, fühlt man sich machtlos beim Gang zur Wahlkabine.

Hermann Behrendt, Jurist und früherer Wirtschaftslenker, hat dieses diffuse Unbehagen einmal komplett durchleuchtet. Sein Buch Die mandative Demokratie ist durchaus kein Angriff auf die Demokratie – er hinterfragt allerdings die Spielregeln, die verhindern, dass Demokratie heute so funktioniert, wie sie funktionieren könnte.

Die These

Unsere parlamentarische Demokratie ist nicht „schlecht“. Sie ist veraltet. Sie arbeitet mit Mechanismen aus einer Welt, die es so seit Jahrzehnten nicht mehr gibt.

Und genau hier setzt sein Modell der mandativen Demokratie an. Es ist keine Phantasie, sondern ein strukturiertes, bis ins Detail durchdachtes Gegenmodell.

Dieser Artikel erklärt dir das Konzept verständlich – und zeigt den direkten Vergleich zum heutigen System.


1. Was ist die Mandative Demokratie überhaupt?

Behrendt bringt es auf eine einfache Formel:

Demokratie heißt, dass die Bürger Regierungsmacht verleihen – inhaltlich und zeitlich begrenzt. „Mandativ“ bedeutet genau das: beauftragend. Das Modell dreht sich um eine einzige Frage:

Wie stellen wir sicher, dass diejenigen, die Macht erhalten, diese auch wirklich im Sinne der Bürger ausüben – nachvollziehbar, kontrollierbar, jederzeit auf Widerruf?

Seine Antwort ist radikal logisch:

  1. Bürger wählen ein fertiges Regierungsteam aus mehreren konkurrierenden Teams.
  2. Diese Teams legen vor der Wahl ihr verbindliches Regierungsprogramm vor.
  3. Das Parlament wird überflüssig – Gesetzgebung übernimmt die Regierung gemäß dem Regierungsprogramm.
  4. Bürger können zwischen den Wahlen eingreifen, wenn das Programm verlassen wird oder unvorhergesehene Entwicklungen eintreten.
  5. Ein starkes Verfassungsgericht und ein direkt gewählter Bundespräsident sind Sicherungen gegen Machtmissbrauch.
  6. Ein Bürgerforum sorgt für permanente öffentliche Kontrolle.

Kurz gesagt:

Wahl → klarer Auftrag → klare Verantwortlichkeit → klare Korrekturmöglichkeit.

Im Gegensatz zur parlamentarischen Demokratie, wo der Bürger eine Partei wählt und danach keinen Einfluss mehr auf die tatsächliche Regierungsbildung und das Regierungsprogramm hat.


2. Warum dieses Modell überhaupt nötig ist – das Problem im Ist-Zustand

Behrendt legt in dem Buch die Diagnose offen:

Der Kern der Krise liegt nicht in den Menschen, sondern im System und seinen Institutionen.

Es erzeugt Fehlanreize – und wer im System erfolgreich sein will, muss ihnen folgen.

2.1. Das heutige System fördert Politiker, die angepasst sind – und nicht solche, die gesellschaftlich qualifiziert sind

Das Rezept für Parteikarrieren:

  • früh einsteigen
  • der Parteilinie folgen
  • Netzwerke pflegen
  • innerparteiliche Machtkämpfe bestehen
  • Medienauftritte beherrschen

Das alles ist politisch sinnvoll, aber gesellschaftlich irrelevant. Das Ergebnis: Berufspolitiker ersetzen Bürgervertreter. Nicht, weil sie böse wären – sondern weil das System genau diesen Typus selektiert.

2.2. Koalitionslogik zerstört Verantwortung

Der Koalitionsvertrag ist heute die Basis für die gesamte Regierungsarbeit. Er ist nirgends im Grundgesetz vorgesehen, sondern hat sich in der Verfassungswirklichkeit entwickelt. Was drin steht, ist das, was sich nach der Wahl verhandeln ließ – und eine Überraschung für das Wahlvolk, dem nur noch die Zuschauerrolle verbleibt:

  • Wahlprogramme verschwinden in Koalitionsverträgen
  • Ministerposten werden parteiintern verteilt
  • Verantwortung wird verdünnt
  • Schuldzuweisung wird zur Strategie

Wenn alles Ergebnis von Kompromissen ist, muss sich niemand mehr klar verantworten.

2.3. Bürger verlieren Vertrauen – mit Recht

Nicht, weil sie der Demokratie misstrauen, sondern weil sie im parlamentarischen System:

  • nicht wissen, wer nach der Wahl wirklich regiert
  • davon überrascht werden, welches Wahlprogramm welcher Koalitionäre zu welchen Teilen am Ende gilt
  • keine Möglichkeit haben, während der Legislaturperiode einzugreifen
  • die Verantwortung für politische Entscheidungen kaum noch einer Person oder Partei zuordnen können

Das alles ist eine „Entdemokratisierung durch Intransparenz“.


3. Die mandative Demokratie im Detail – wie das Modell funktioniert

Jetzt wird’s handfest. Behrendt präsentiert keine Versatzstücke, sondern ein vollständiges Verfassungsmodell.

3.1. Direktwahl der Regierung

Nicht Parteien bestimmen, wer Minister wird. Nicht Koalitionen entscheiden, welche Partei welchen Einfluss gewinnt. Nicht Hinterzimmer, sondern Wahl. Der Bürger als Souverän entscheidet über:

  • Kanzler/-in
  • alle Minister/-innen
  • das Regierungsprogramm

Die konkurrierenden Teams stellen sich geschlossen zur Wahl.

Transparenz vor Legitimation.

3.2. Verbindliches Regierungsprogramm

Koalitionsverträge werden von den konkurrierenden Teams vor der Wahl vereinbart. Der Wähler weiß also, wenn er sein Kreuz macht:

  • was geplant ist
  • was nicht
  • welche Prioritäten gesetzt werden
  • welche Ziele innerhalb der Legislatur erreicht werden sollen

Weicht die Regierung später wesentlich ab oder treten nicht vorhergesehene Ereignisse ein, wird das Volk gefragt.

3.3. Begrenzte Wiederwahl

Ein zentraler Hebel: Keine endlosen Karrieren. Keine Machtverkrustung. Wer keine Rücksicht auf die Chance zur Wiederwahl nehmen muss, ist frei, übergeordnete Interessen durchzusetzen.

3.4. Gesetzgebung durch die Regierung

Das Parlament entfällt. Weil es keine Funktion mehr hat. Behrendt argumentiert:

  • Das Regierungs- und damit das Gesetzgebungsprogramm steht durch die Wahlentscheidung fest.
  • Die notwendige Kontrolle der Regierung wird durch andere Institutionen wirkungsvoller erreicht.
  • Debatten als Schaukämpfe kann man sich sparen.
  • Wir brauchen keine Versorgungsanstalt für die politische Klasse.

Die Regierung beschließt Gesetze, das Volk kontrolliert sie indirekt – und Bundespräsident sowie Verfassungsgericht sichern Grenzen.

3.5. Direkte Einflussmöglichkeiten der Bürger

Während der Legislaturperiode gibt es Volksentscheide. Aber kein populistisches Abstimmen über alles.

Sondern nur, wenn:

  • grundlegende Linien verlassen werden
  • verbindliche Zusagen gebrochen werden
  • unvorhergesehene Ereignisse eintreten

3.6. Starke Kontrollinstanzen

Die Mandative Demokratie stellt zwei starke Kräfte der Regierung gegenüber:

  • direkt gewählter Bundespräsident mit erweiterten Kompetenzen
  • unabhängiges Verfassungsgericht

Beide wirken als Korrektiv gegen Übergriff, Missbrauch oder Kompetenzüberschreitung.

3.7. Bürgerforum

Kein Parlament. Aber ein Diskursraum, der Rückkopplungen ermöglicht.

Das Bürgerforum:

  • ist öffentlich
  • ist beratend
  • stellt Expertenwissen bereit
  • gibt Raum für Initiativen
  • mischt sich in Gesetzesentwürfe ein
  • basiert auf Transparenz, nicht auf Macht

4. Die Gegenüberstellung: parlamentarische vs. mandative Demokratie

Damit es klarer wird, hier die große Linie – praxisnah.

4.1. Wer wird gewählt?

Parlamentarische DemokratieMandative Demokratie
ParteienRegierungsteam
Personen auf ListenPersonen auf Ämtern
Programm = Partei-MarketingProgramm = verbindlicher Auftrag

4.2. Wie entsteht die Regierung?

HeuteMandativ
KoalitionsverhandlungenDirektwahl durch Bürger
Macht durch ParteiflügelMacht durch Wählerauftrag
Minister werden intern ausgewähltMinister sind wählbar

4.3. Wer trägt Verantwortung?

HeuteMandativ
viele Akteure, wenig Klarheitklare Zuordnung: 1 Team
Schuldverschiebung StandardVerantwortung unteilbar
Wahlprogramm unverbindlichWahlprogramm bindend

4.4. Wie werden Gesetze gemacht?

HeuteMandativ
Parlament (vollzieht nachträgliche Koalitionsvereinbarung)Regierung (vollzieht durch Wahl entschiedenes Programm)
Ausschüsse, Fraktionen, Taktikklare Zuständigkeiten
Scheindebattenkonsistente Gesetzesbegründung

4.5. Kontrolle?

HeuteMandativ
Opposition (wie stark?) + Medien (wie parteiisch?)direkt gewählter Bundespräsident + Verfassungsgericht + Volksentscheide
parteipolitischer Wettbewerbsachlicher Wettbewerb
Kontrolle verwässertKontrolle strukturell verankert

4.6. Einfluss der Bürger

HeuteMandativ
indirektdirekt wirksam
Wahlen alle vier Jahrezusätzlich Volksabstimmungen
kaum Korrekturen möglichklare Stop-Mechanismen

5. Was sagen Kritiker zur Mandative Demokratie ?

Kritik gibt es natürlich. Behrendt geht im Buch auf alle gängigen Einwände ein:

• „Das ist doch faschistoid!“

Unsinn – alle Kriterien des Bundesverfassungsgerichts für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung sind eingehalten.

• „Das stärkt aber die Exekutive!“

Ja – aber austariert mit starken Kontrollinstanzen.

• „Was ist mit Minderheiten?“

Verfassungsgericht + Grundrechte bleiben selbstverständlich.

• „Ist das realistisch?“

Realisierbarkeit ist nicht das Ziel – sondern Denkraum.

Der Punkt des Modells ist nicht: Wir müssen das morgen so machen.

Sondern:

So sähe Demokratie aus, wenn man Verantwortung, Transparenz und Einfluss neu ordnet.


6. Fazit: Warum dieses Modell gerade jetzt interessant ist

Wir leben in einer Phase, in der Politik aus gutem Grund unter Druck steht:

  • Die Wirtschaft leidet unter den Standortbedingungen mit gravierenden Folgen für Arbeitsplätze und Steuereinnahmen
  • Die Staatsverschuldung steigt rasant zulasten der kommenden Generationen
  • Die Sozialsysteme werden unbezahlbar
  • Die ungesteuerte Zuwanderung überfordert unsere Integrationsfähigkeit
  • Die politische Klasse in Brüssel und Berlin produziert weiter Bürokratie, um ihre Daseinsberechtigung zu belegen
  • Die Bürger zweifeln an der Fähigkeit, im jetzigen System die Probleme zu lösen

Die Mandative Demokratie ist nicht die Antwort auf alles. Aber sie ist ein strukturierter Vorschlag, wie wir Macht besser vergeben und kontrollieren könnten. Und wie der Bürgerwille gegen Parteiinteressen gewinnen kann.

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Warum unser politisches System nicht mehr funktioniert

75 Jahre Grundgesetz: Was funktioniert hat – und was wir endlich neu denken müssen


Was hat das Grundgesetz stark gemacht – und warum reicht es heute nicht mehr? Eine nüchterne Bilanz zu Reformstau, politischer Zukunft und Demokratie.

Manchmal hilft ein Schritt zurück. Weg vom täglichen Politikrauschen, hin zu den großen Linien. Nach 1949 hat das Grundgesetz geholfen, unser Land zu einem der stabilsten und erfolgreichsten demokratischen Modelle der Welt zu machen.

Aber Erfolg schützt nicht vor Alterung. Strukturen, die Jahrzehnte lang funktioniert haben, geraten an ihre Grenzen, wenn sich die Rahmenbedingungen verändern und die Institutionen Fehlsteuerungen verursachen.

Der Blick zurück zeigt, warum das so ist. Und der Blick nach vorn macht deutlich, warum „ein bisschen Reform“ nicht mehr reicht.


1. Warum das Grundgesetz eine Erfolgsgeschichte war

Bevor man modernisiert, muss man verstehen, was man bewahren sollte. Das Grundgesetz war die Antwort auf die Barbarei der Nazi-Herrschaft: Nie wieder Diktatur! Nie wieder Missachtung der Menschenwürde! Nie wieder Großmachtwahn!

Obwohl die Initiative für das Grundgesetz der neuen Bundesrepublik von den Alliierten ausging, ist es von der Bevölkerung nie als oktroyiert empfunden worden. Es griff bei vielen Regelungen auf freiheitlich-demokratische deutsche Traditionen zurück und ist über Jahrzehnte eigentlich von keiner relevanten politischen Strömung infrage gestellt worden. Der Grund für diesen breiten Konsens liegt darin, dass sich das Grundgesetz durch eine liberale Offenheit auszeichnet. Es ist offen für Konservative, für Sozialisten oder Liberale, die sich alle auf passende Regelungen des Grundgesetzes als Beleg berufen können.

Das Grundgesetz hat uns nach 1945 Freiheit, demokratische Regierungen, wirtschaftlichen Aufschwung und soziale Sicherheit gebracht. Es hat die europäische Einigung ermöglicht und Deutschland wieder zu einem angesehenen Mitglied der Weltgemeinschaft gemacht. Kein vernünftiger Mensch will das alles auf´s Spiel setzen!

1.1. Stabilität nach dem Zusammenbruch

Die Grundrechte und die freiheitlich-demokratische Grundordnung sind die Eckpfeiler des Grundgesetzes. Menschenwürde, Volkssouveränität, Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatsprinzip und föderale Ordnung wurden mit Ewigkeitsgarantie ausgestattet.

Aus den Erfahrungen der Weimarer Republik konzipierte man eine starke Kanzler-Demokratie: Verfassungsfeinde sollten eine Regierung nicht mehr paralysieren können, ohne selbst konstruktiv eine neue bilden zu können.

Verfassungsfeindliche Parteien konnten verboten werden – und wurden es auch.

1.2. Wirtschaftlicher Aufschwung und soziale Sicherung

Politische Stabilität und wirtschaftlicher Erfolg verstärkten sich gegenseitig. Das Grundgesetz gab den Rahmen. Die mutige Entscheidung zur sozialen Marktwirtschaft füllte ihn mit Leben.

1.3. Europäische Einbindung und friedliche Wiedervereinigung

Die Väter (und Mütter) des Grundgesetzes misstrauten dem Volk. Eine Verankerung in der westlichen Wertegemeinschaft und eine Übertragung von Souveränitätsrechten auf europäische Instanzen sollten und haben verhängnisvolle deutsche Sonderwege verhindert.

Schließlich ist festzuhalten, dass diese grundgesetzliche Ordnung so attraktiv war, dass sie im Zuge der Wiedervereinigung auf die neuen Bundesländer übertragen werden konnte.

Fazit: Mit den damals verantwortlichen Akteuren war das Grundgesetz über Jahrzehnte die richtige Antwort auf die gestellten Aufgaben.


2. Wo wir stehengeblieben sind: Das System hinkt der Realität hinterher

Und hier beginnt der Teil, den viele ungern hören. Deutschland hatte viele Jahrzehnte eine der stabilsten Demokratien. Aber kein System bleibt für immer passend. Ehemalige Volksparteien erodieren, die extremistischen Ränder erhalten massiven Zulauf, Koalitionen sind kaum noch handlungsfähig und das Wahlvolk zweifelt an der Problemlösungsfähigkeit der Regierenden. Behrendt schreibt in Die mandative Demokratie:

„Die Krise der Demokratie ist die Krise der parlamentarischen Demokratie.“

Damit meint er: Die Mechanik, nicht die Idee.

2.1. Institutionen und Verfassungswirklichkeit

Die Institutionen des Grundgesetzes sind nominell die selben geblieben, haben sich aber über die Jahrzehnte inhaltlich verändert. Bundestagsdebatten sind zur reinen Show degeneriert und richten sich nur noch an die mediale Öffentlichkeit. Kein Abgeordneter erwartet, dass er durch seine Rede einen Kollegen von der Opposition umstimmen könnte.

Der Bundestag ist nicht mehr die zentrale Instanz zur politischen Willensbildung. Kernaufgabe ist nur noch, die Koalitionsvereinbarung abzuarbeiten. Von den über 600 Mitgliedern des Bundestags haben maximal zwei Dutzend das Sagen und bringen alle übrigen durch den Fraktionszwang auf Linie.

Der Bundeskanzler kann die Regierungsmannschaft seines Vertrauens gar nicht mehr zusammenstellen. Die Koalitionspartner bestimmen, wer Minister wird. Und selbst in der eigenen Partei muss der Kanzler nach vielschichtigem Proporz auswählen.

Ein Großteil der Kompetenzen ist nach Brüssel abgewandert. Von dort kommen die Richtlinien, die nur noch in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Den Bedeutungsverlust kompensiert der Bundestag durch hektische Selbstbeschäftigung.

2.2. Das System produziert die Politiker, die das System bedienen

In den ersten Jahrzehnten des Grundgesetzes war ein Politikertyp noch selbstverständlich, der eigene Lebens- und Berufserfahrung außerhalb der Politik mitbrachte. Er kannte die Lebenswirklichkeit. Ein ziviler Beruf machte ihn wirtschaftlich unabhängig von der Partei.

Doch Institutionen sind nur ein Korsett. Es wird bestückt mit Personen, die am besten hinein passen. Und als erfolgreichster Typ hat sich im Laufe der Jahre der Berufspolitiker herausgestellt, der – überspitzt formuliert – die Karriere „Kreißsaal / Hörsaal / Plenarsaal“ absolvierte. Die Institutionen und ihre Auswahlmechanismen fördern Charaktere und Verhaltensweisen, die Politikerkarrieren dienen aber nicht notwendigerweise auch dem Gemeinwohl.

Diese Politikertyp wird das System, dem er seine Karriere verdankt, selbstverständlich pflegen und verteidigen.

2.3. Die Institutionen müssen den veränderten Verhältnissen angepasst werden

Wir können die Menschen nicht ändern, wohl aber die Institutionen. Politiker verhalten sich aus ihrer Sicht rational, wenn sie die für ihre Politikerkarriere erfolgversprechenden Entscheidungen treffen. Es wäre naiv, von einem Politiker etwas anderes zu erwarten. Dem Wähler sind aber Politikerkarrieren egal. Wir müssen deshalb die Institutionen so gestalten, dass das Eigeninteresse der Entscheider und das Gemeinwohl möglicht übereinstimmen oder zumindest nicht in Widerspruch geraten.

Ist das möglich? Das Modell der Mandative Demokratie versucht es jedenfalls.


3. Warum „ein bisschen Reform“ nicht mehr reicht

Alle sprechen von Reformen. Tatsächlich ist das Grundgesetz auch schon hunderte Male seit seiner Entstehung geändert worden. Der Zuschnitt der Institutionen und die Auswahlkriterien sind jedoch geblieben. Behrendt erklärt das nüchtern:

„Diejenigen, die systemändernde Reformen beschließen müssten, sind dieselben, die durch diese Reformen Macht verlieren würden.“

Es ist kein böser Wille. Es ist Mechanik. Deshalb greifen „kleine Reformen“ nicht. Sie reparieren Symptome – nicht Strukturen.


4. Und was heißt das jetzt?

Dieser Artikel soll nicht als Werbung für die „Mandative Demokratie“ missverstanden werden. Hier wird nichts verkauft: keine Ideen, keine Bücher. Aber er ist eine Einladung zu Reflexion und Diskussion.

Wir brauchen Antworten auf die Fragen:

  • Wie können wir die Politik- (oder besser: die Politiker-) verdrossenheit überwinden?
  • Wie verhelfen wir dem Wählerwillen zu seinem Recht: bei der Wahl selbst aber auch während der Legislaturperiode?
  • Wie stellen wir sicher, dass Politiker nicht in ihrer Blase den Kontakt zur Lebenswirklichkeit verlieren?
  • Wie ermöglichen wir längerfristige Perspektiven bei Haushaltsfinanzierung und Generationengerechtigkeit, bei Zuwanderung und Integration, bei den Sozialsystemen oder einer Wirtschaftspolitik, die zukunftsträchtige Technologien fördert?
  • Welche Institutionen müssen dazu und wie reformiert werden?

Die Mandative Demokratie versucht eine Antwort zu geben. Sie nimmt nicht für sich in Anspruch, die perfekte Lösung gefunden zu haben. Es geht darum, in Diskussionen auf breiter Ebene Problembewusstsein zu schärfen und Lösungsvorschläge auf ihre Qualität zu prüfen.

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Diskussion

Aktuell: Die allgemeine Dienstpflicht

Die CDU hat einen Vorschlag aufgegriffen, den ich bereits 2011 in der „Mandativen Demokratie“ zur Diskussion gestellt habe (siehe Kap. 3.4.4, Seite 373ff.): Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für Männer und Frauen, verbunden mit dem Wahlrecht den Dienst entweder in den Streitkräften, einer sozialen Hilfsorganisation oder dem Katastrophenschutz abzuleisten.

Ich sehe diesen Vorstoß, so richtig er in der Sache auch ist, nur als verzweifelten Versuch der CDU, sich bei konservativen Wählern wieder in Erinnerung zu bringen. Realisierungschancen hat er nicht. Dazu wäre eine Grundgesetzänderung erforderlich, der sich die SPD verweigern wird. Unser gegenwärtiges Politiksystem ist unfähig zu großen Würfen. Wenn eine Partei einen Vorschlag macht, muß die andere schon aus Profilierungssucht dagegen sein. So wird alles zerredet.

In der aktuellen Diskussion ist ein Aspekt allerdings nirgends aufgetaucht, den ich aber für wichtig halte. Ich hatte vorgeschlagen, daß auch alle Ausländer, die ihren Wohnsitz in Deutschland haben, der Dienstpflicht unterliegen sollten. Damit würde ein bedeutsamer Beitrag zur Integration geleistet werden.