Warum das Vertrauen in die Politik schwindet – Analyse und Ausblick mit Ideen aus der „Mandativen Demokratie“
Die Politikverdrossenheit steigt, Nichtwähler werden faktisch zur stärksten politischen Kraft. Warum unser System diese Entwicklung selbst erzeugt – und wie die Ideen der Mandativen Demokratie neue Wege öffnen könnten.
Einleitung
Du musst heute kein Politik-Nerd sein, um zu spüren, dass in Deutschland etwas nicht mehr rundläuft. Gespräche über Politik enden oft in Schulterzucken, Frust oder Zynismus. Oder noch schlimmer: Fast die Hälfte der Deutschen traut sich nicht mehr, frei die politische Meinung zu äußern. Menschen fühlen sich nicht ernst genommen. Die Wirtschaft verliert dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit mit schwerwiegenden Folgen für Arbeitsplätze und Steueraufkommen. Aber die Politik kümmert sich eher um verhätschelte Minderheiten und illusorische Klimaziele. Der Eindruck wächst, dass die politische Klasse in ihrer eigenen Welt lebt.
Diese Entwicklung ist weder Zufall noch Stimmungsschwankung. Sie wird durch klare Mechanismen unseres Systems erzeugt – und genau das hat Hermann Behrendt in seinem Buch Die mandative Demokratie herausgearbeitet. Das Buch wirkt wie ein seismographischer Blick auf die inneren Risse unserer politischen Ordnung: Manche davon sind alt, manche neu, viele tief.
In diesem Artikel geht es darum, diese Risse sichtbar zu machen. Nicht um „die da oben“ zu verprügeln. Sondern um zu verstehen, warum sich ein System so verhält, wie es sich verhält – und warum es heute an Grenzen stößt, die wir nicht länger ignorieren können.
1. Vertrauensverlust: das sichtbare Symptom
Behrendt beginnt sein Buch mit einer Beobachtung, die jeder schon gespürt hat:
Die Distanz zwischen Bürgern und politischer Klasse war noch nie so groß wie heute.
Das zeigt sich in konkreten Fakten:
- die Unsicherheit, wen man überhaupt noch wählen soll, ist groß
- Nichtwähler sind faktisch mit die größte „politische Kraft“ im Land
- viele Menschen erleben Politik als formal korrekt, aber inhaltlich nicht legitim
- Politiker rangieren am unteren Ende der Vertrauensskala aller Berufe
Das ist kein emotionales Bauchgefühl, sondern eine feststellbare Entwicklung.
Behrendt schreibt, dass Bürger kaum noch das Gefühl haben, Einfluss auf politische Entscheidungen zu haben. Seine zentrale Diagnose:
Wir leben in einem System, das demokratisch aussieht – aber nur noch eingeschränkt demokratisch funktioniert.
Es ist die Kombination aus Enttäuschung, Entfremdung und dem Eindruck einer politischen Klasse, die sich in ihrer Blase selbst verwaltet, statt die Gesellschaft zu gestalten.
2. Warum immer mehr Menschen das Gefühl haben, nicht vertreten zu werden
2.1. Parteienherrschaft als Nadelöhr
Parteien steuern Zugang, Karriere, Einfluss, Ministerposten – und sind damit nicht nur politische Akteure, sondern Gatekeeper.
Der Bürger kann zwar Parteien wählen, aber:
- er kann nicht durchschauen, wie Verhandlungen hinter den Kulissen laufen
- er weiß nicht, welche Programme die Koalitionslogik überleben
Koalitionsverträge – also das, was tatsächlich Politik macht – sind nicht wählbar. Sie entstehen nach der Wahl, nicht vor ihr.
2.2. Berufspolitikertum als Systemfehler
Ein politisches System, das Politiker vor allem danach auswählt, wie gut sie sich in Parteistrukturen einfügen, verliert zwangsläufig Menschen, die im echten Leben Verantwortung getragen und sich bewährt haben. Eine Berufslaufbahn ausschließlich in der Politik macht abhängig von der Partei.
Behrendts Diagnose:
Das System erzeugt Politiker, die politisch funktionieren – nicht unbedingt solche, die das Land erfolgreich und gerecht führen können. Unsere Politiker sind Gefangene des Systems.
Hier wird deutlich: Das Problem ist strukturell, nicht moralisch.
2.3. Medienlogik verstärkt die Schieflage
Wenn Parteien taktieren und Politiker sich absichern, entsteht ein perfekter Resonanzraum mit einer Medienwelt, die auf Konflikte, Skandale, Personalfragen und Lagerkampf geeicht ist.
Lange Linien, komplexe Argumente, Verantwortung jenseits des Tagesgeschäfts – dafür gibt es kaum Raum.
3. Die Folgen: Politische Entscheidungen sind legal, aber nicht legitim
Die Menschen spüren, dass die Politik sich nicht mehr um die für sie wichtigen Themen kümmert.
Viele Entscheidungen sind formal demokratisch zustande gekommen – aber vom Wähler innerlich nicht akzeptiert, wie
- steil ansteigende Staatsverschuldung zu Lasten kommender Generationen
- massive Eingriffe in Bürgerrechte (z. B. Corona-Maßnahmen, missbrauchter Verfassungsschutz, konfiskatorische Steuern und Abgaben)
- Energiepolitik ohne langfristige Konsistenz
- Einwanderung und Integration ohne Strategie und kulturelle Sensibilität
- Bildungspolitik, die von Ideologien statt von Notwendigkeiten geprägt ist
Das alles erzeugt ein Klima, das Behrendt als Mischung aus Resignation und stillem Zorn beschreibt.
4. Der Mechanismus dahinter: Warum das System genau diese Ergebnisse produziert
Behrendts Gedankengang ist radikal einfach:
Politiker handeln logisch – in einem System, das falsche Anreize setzt.
Hier die wichtigsten Mechanismen:
4.1. Eigeninteresse schlägt Gemeinwohl
Nicht, weil Politiker egoistisch sind, sondern weil das System Karrieren so organisiert:
- Wer unbequem ist, kommt nicht weiter
- Wer in Strukturen mitläuft, wird belohnt
- Wer mutig entscheidet, riskiert Stimmen
- Wer abwartet, gewinnt Zeit.
Und am Ende entscheidet die angestrebte Wiederwahl über alles.
4.2. Koalitionspolitik frisst Verantwortlichkeit
Behrendt beschreibt das so:
- Nach der Wahl beginnt erst die eigentliche Festlegung des Wahlergebnisses.
- Koalitionen verschieben Programme.
- Verantwortung wird gestreut und nicht mehr zurechenbar.
- Bürger haben keine Korrekturmöglichkeit.
Das erzeugt eine demokratische Grauzone, in der Macht zwar ausgeübt, aber Verantwortung verschleiert wird.
5. Die große Linie: Eine Demokratie, die an ihren eigenen Regeln erstickt
Wer die „Mandative Demokratie“ liest, erkennt ein wiederkehrendes Muster:
Das Parlament des Grundgesetzes ist auf eine Welt ausgelegt, die es so nicht mehr gibt.
Es stammt aus einer Epoche:
- als Politiker in Deutschland noch eigene Lebenserfahrung außerhalb der Politik, vor allem beruflich, mitbrachten
- die Parteien sich den Staat noch nicht zur Beute gemacht hatten
- Eigenverantwortung selbstverständlich war und der Staat noch nicht die Rolle des „Rund-um-sorglos-Betreuers“ übernommen hatte
- die Sekundärtugenden noch allgemeine Wertschätzung fanden
- die Medien in erster Linie Nachrichten verbreiten und nicht Überzeugungen vermitteln wollten
- das Staatsvolk noch kulturell weitgehend homogen war
- die europäische Einigung eine erstrebenswerte Vision war und keine bürokratische Monstrosität
Die Gesellschaft im heutigen Deutschland ist völlig verändert: fragmentiert, ideologisiert, bürokratisiert, leistungs- und wirtschaftsfeindlich. Das Parlament ist in dieser Umgebung nur noch eine Bühne für Schaukämpfe und hat seine ihm ursprünglich zugedachte Funktion verloren.
6. Institutionelle Fehlstellungen, die Behrendt besonders hervorhebt
Hier schöpfe ich direkt aus den Kapiteln 1 und 2 des Buchs.
6.1. Bildung und Kultur als politisches Spielfeld
- Erziehungsideologien verdrängen Qualität
- Sprachkompetenz wird vernachlässigt
- Verantwortung zwischen Bund und Ländern ist unklar
- Reformen werden aus parteipolitischen Gründen verwässert.
6.2. Migration und Integration ohne klare Linie
Zu nennen sind:
- fehlende Steuerung, keine konsequente Unterscheidung von Asyl und Einwanderung
- Überforderung der Integrationsfähigkeit und der finanziellen Möglichkeiten
- ideologisch geführte Debatten
- dysfunktionale EU-Regeln
- Verdrängung der negativen Folgen von Zuwanderung
6.3. Verschuldung und Euro-Krise als Systemprodukt
Behrendt argumentiert, dass Verschuldung nicht Ausnahme, sondern systemimmanente Regel ist – ein demokratisches System, das auf kurzfristige Wählbarkeit reagiert, bevorzugt Wohltaten statt Zukunftsinvestitionen.
Die Euro-Ebene verstärkt das Problem.
6.4. Ausufernder Sozialstaat
Nicht aus Bosheit, sondern aus politischer Logik:
- Sozialleistungen steigen durch immer neu entdeckte „Gerechtigkeitslücken“ und werden unbezahlbar
- Sozialsysteme werden auf Pump finanziert zu Lasten kommender Generationen
- Leistungsträger kapitulieren oder wandern aus
- Reformen sind politisch riskant aus Angst vor der Wahrheit und dem Wähler
Ein „sozial ist unsozial“-Mechanismus entsteht.
7. Warum Reformen trotz allem scheitern
Ein bitterer, aber zutreffender Satz aus dem Buch:
„Diejenigen, die die Reformen beschließen müssten, sind dieselben, die durch Reformen Macht verlieren würden.“
Reformen im parlamentarischen System haben vier klassische Feinde:
- Koalitionspartner, die ihre jeweilige Klientel versorgen müssen
- Parteivorstände, die um Macht und Ego fürchten
- Wahlkampfzyklen, eng getaktet auf Bundes- und Landesebene
- mediale Risikoverstärkung
8. Was bleibt? Ein System am Limit – und die Frage nach Alternativen
Behrendt ist kein Zyniker. Er ist Jurist und Demokrat – aber einer, der ungeschönt klar beschreibt, was viele seit Jahren spüren. Sein Punkt ist nicht: „Alles abschaffen.“ Sondern:
„Wir müssen die Spielregeln überdenken. Nicht die Demokratie infrage stellen, sondern im Gegenteil: wiederbeleben.“
Damit öffnet er die Tür für sein Reformmodell der Mandativen Demokratie (das im nächsten Post ausführlich beschrieben wird).
9. Fazit: Vertrauen kommt nicht durch Appelle zurück– sondern durch nachvollziehbare Verantwortlichkeit
Politiker reden oft von „mehr Dialog“, „mehr Bürgernähe“ und „mehr Transparenz“. Alles gut gemeint, alles aber nur Oberfläche.
Behrendts Diagnose zeigt: Wenn die Struktur falsch ist, reicht kein Feintuning.
Was wir brauchen:
• echte Wählbarkeit
• klare Verantwortlichkeit
• verbindliche Programme
• wirksame Kontrolle
• direkte Einflussmöglichkeiten
Erst dann hat Politik wieder eine Chance, als das wahrgenommen zu werden, was sie sein soll Gestaltung mit dem Bürger – nicht über ihn hinweg.
„Die mandative Demokratie“ von Hermann Behrendt